Architektouren 2018: Was ich anschauen würde, wenn . . .

So viele Termine! Das würde auch für drei spannende und unterhaltsame Wochenenden reichen.

Ich liebe die Architektouren! Wer meinen Blog kennt, der weiß, dass ich mir dieses Wochenende jedes Jahr schon lange im Voraus frei halte. Dann warte ich sehnsüchtig darauf, dass bekanntgegeben wird, welche Projekte zu besichtigen sind, und stelle mir meine Liste für das Architektouren-Wochenende zusammen. Dieses Jahr ist es allerdings ein bisschen anders, denn am Samstag bin ich auf eine Hochzeit eingeladen. Deshalb stelle ich heute drei Listen zusammen – eine kleine Liste, was ich mir (vielleicht) am Sonntag anschauen werde. Und zwei Listen mit Highlights der diesjährigen Architektouren, die ich leider verpassen werde. Aber vielleicht habt ihr ja Lust und Zeit? Hier sind noch Tipps, auf was ihr beim Besuch der Projekte achten solltet.

Leider keine Zeit: Altstadt-Spaziergang mit Architektur in Passau

Gleich mehrere Projekte, die ich am Samstag verpassen werde, liegen in der Passauer Altstadt. Die Termine würden sich perfekt hintereinander „abarbeiten“ lassen, sogar mit Kaffeepausen. Und man würde vermutlich bei jedem Termin die gleichen Gesichter entdecken, denn die drei Projekte stammen von ein und demselben Architekturbüro: Koller Singhof Architekten aus Passau.

Samstag, 23. Juni 2018, 11 Uhr: Los geht es in der Theresienstraße 19, in einem prächtigen Bau, in dem schon Hans Carossa gearbeitet hat. Thema: „Wohnen und Arbeiten im Denkmal“.

Samstag, 23. Juni 2018, 13 Uhr: „Das grüne Haus“ in der Innbrückgasse 5 ist ein prototypischer Hochwasser-Ersatzneubau, der einem vielleicht von der Innpromenade aus schon mal aufgefallen ist.

Samstag, 23. Juni 2018, 15 Uhr: Weiter geht es mit dem Haus „In der Gasse“, nämlich in der Grabengasse 13. Das alte Handwerkerhaus hat auch unter dem Hochwasser gelitten, ist aber jetzt neu belebt.

Leider zu weit weg: Einfamilienhäuser zum Staunen

An manchen Projektbeschreibungen bleibt man hängen, obwohl man genau weiß, dass es einfach viel zu weit ist, für eine kurze Hausbesichtigung hundert Kilometer oder mehr zu fahren. Aber vielleicht wohnt ja von euch jemand in der Nähe dieser ungewöhnlichen Wohnhäuser? Dann nichts wie hin:

Sonntag, 24. Juni 2018, 10 bis 14 Uhr: Unauffällig anpassen oder gekonnter Stilbruch? Wer an ein bestehendes Haus aus den 1960er Jahren anbauen will, hat diese beide Möglichkeiten. Hier ist es natürlich der Stilbruch mit auffälliger Holzfassade. Zu sehen ist der „Siamesische Zwilling“ des Architekturbüros quadrat45° in Obertraubling.

Sonntag, 24. Juni 2018, 14 bis 17 Uhr: In Bogen steht das „Haus MA“, das dank seines auskragenden Wohnbereichs wie eine riesige Skulptur wirkt. Ein Teil der ersten Etage schwebt quasi in der Luft. Wer den Entwurf von MAM Architekten sehen möchte, hat am Sonntag Gelegenheit dazu.

Sonntag, 24. Juni 2018, 14 bis 16 Uhr: Die schwarze, geschwungene Fassade erregt Aufsehen – allerdings bekommt man sie vermutlich nicht zu Gesicht, wenn man nicht weiß, dass es sie überhaupt gibt. Denn das Wohngebäude liegt als Rückgebäude in einem Innenhof in der Rumfordstraße 11a in München. Ein sehenswertes Beispiel für Nachverdichtung von bauphase architekten. Das Projekt ist Samstag und Sonntag zu besichtigen.

Das will ich sehen: Dreimal Wohnen in Deggendorf und Umgebung

Sonntag, 24. Juni 2018, 9.30 bis 10.30 Uhr: Ein Einfamilienhaus mit Einliegerwohnung wäre die erste Anlaufstelle, falls ich es am Sonntag nach Deggendorf schaffe. Das Haus in Bruck 25 in Deggendorf haben die hausfreunde Architekten geplant.

Sonntag, 24. Juni 2018, 11 bis 12 Uhr: Im Anschluss heißt es: gleiche Architekten, anderes Projekt. Mitten in einer Waldwiese steht ein Ferienhäuschen, das mit ökologischen Baustoffen saniert wurde. Für „EBN Gute Nacht Fuchs, gute Nacht Hase!“ geht es weiter nach Rindberg 38 bei Bernried.

Sonntag, 24. Juni 2018, 15 Uhr: Kleine Pause und dann in die Berger Straße 42 in Deggendorf. Die Architekten Regina Schineis und Stefan Hiendl zeigen dort in einer dunklen Holzfassade die Büros und Wohnungen, die nach dem Umbau und der Erweiterung von „B42“ entstanden sind.

Ob das mit Deggendorf am Sonntag was wird, hängt aber auch ein bisschen vom Wetter ab. Denn die Architektouren haben starke Konkurrenz: Den „Tag der offenen Gartentür“. Gärten anzuschauen finde ich auch sehr, sehr spannend. Das Programm ist vielfältig und mit Gärten unter anderem in Passau, Ruhstorf und Obernzell auch gut zu erreichen. Mal schauen, ob die Häuser oder die Gärten gewinnen!

Lesen und staunen: Kleine Häuser unter 100 Quadratmeter

Das Buch „Kleine Häuser unter 100 Quadratmeter“ ist im DVA-Verlag erschienen.

Kleine Häuser faszinieren mich. Vielleicht deshalb, weil ein kleines Haus immer perfekt auf seine Bewohner abgestimmt sein muss – dafür plädiere ich ja sowieso. Und unkonventionelle Lösungen für diverse Wohnfragen begeistern mich auch. Solche sind einfach typisch für kleine Häuser. Kreativität ist gefragt, wenn wenige Quadratmeter für zwei oder mehr Personen reichen sollen.

Das Buch „Kleine Häuser unter 100 Quadratmeter“ von Thomas Drexel (DVA, ISBN 978-3-421-03965-1) hat mich daher von der ersten bis zur letzten Seite begeistern können. Der Band stellt 25 vorbildhafte, in Baustil, Konstruktionsweise und Innenraumgestaltung ganz unterschiedliche Häuser vor. Es gibt jeweils eine kleine Geschichte zum Haus, einen praktischen Tipp für zukünftige Bauherren und natürlich viele Fotos, die Baudaten und Grundrisszeichnungen.

Bei Studieren der Bauprojekte stellt man schnell fest, dass es einige Tricks gibt, die in kleinen Häusern auf einfache Art ganz großartigen Wohnraum schaffen. Fast in allen kleinen Häusern in dem Buch von Thomas Drexel werden drei ganz bestimmte Regeln beachtet.

Erstens: Platz spart man am einfachsten dort, wo man ihn nicht braucht.

Ein großer Eingangsbereich mag repräsentativ sein, unbedingt notwendig ist er aber nicht. Wer an der Grundfläche sparen muss, lässt den Eingangsbereich einfach weg. Sieht man im Buch wunderbar am Beispiel des sechs mal sechs mal sechs Meter großen Wohnwürfels von Architekt Theis Janssen. Das Haus, das in Bremen gebaut wurde, ist auf der Westseite im Erdgeschoss und im ersten Geschoss fast vollständig verglast. Und die Haustür ist einfach dort, wo man eine Terrassentür erwarten würde, und führt direkt in den Wohnbereich. Sieht man sehr schön auf der Homepage des Architekten.

Platzsparend lassen sich meist auch Schlafzimmer planen: Ein Bett muss reinpassen, sonst eigentlich nichts. In einem Wochenendhaus im Schwarzwald bei Freiburg, geplant von Architekturbüro Matthias Lange, Freiburg, befindet sich das Bett direkt unter dem Spitzdach. Der Platz zu Stehen wird hier schon knapp, für andere Zwecke hätte man den Raum also vermutlich gar nicht nutzen können.

Zweitens: Drinnen und Draußen vereinen mit großen Fenstern

Helle Räume wirken größer als Dunkle. Und großzügige Blicke nach draußen verhindern ein Gefühl von Beengtheit. Daher arbeiten fast alle Architekten in dem DVA-Band mit großen Fenstern, meist bodentief. Tiefe holzbelegte Sitzbänke in den Fensterausschnitten gehören zu den typischen Elementen in den kleinen Häusern von Simon Storey/Anonymous Architects, die er auf kleinen Grundstücken in Los Angeles gebaut hat. Sie sind einerseits perfekte Ruhe- und Aussichtspunkte in dem kleinen Haus. Andererseits erfüllen sie aber auch durchaus praktische Aufgaben: So ersetzt zum Beispiel eine Fensterbank als Sitzbank direkt am Esstisch weitere Stühle. Doppelt praktisch: Zum einen steht kein zusätzliches Mobiliar herum und nimmt Platz weg. Zum anderen kann der Esstisch so nahe an Fenster und Wand gerückt werden, wie es mit einer Bestuhlung wohl nicht möglich wäre.

Drittens: Stauraum clever einplanen und dadurch die Raumgliederung unterstützen

Offene Grundrisse sind ein Muss im winzigen Haus. Aber ein wenig Gliederung kann die Wohnfläche dennoch vertragen. Mein Lieblingsbeispiel im Buch „Kleine Häuser unter 100 Quadratmeter“ ist ein 85 Quadratmeter großes Wohnhaus in Lodin in Tschechien, das ASGK Design in Prag geplant hat. Der große, zusammenhängende Wohnraum mit Essplatz und Küche ist hier in verschiedene Ebenen unterteilt. Niedrige Podeste gliedern den Erdgeschossraum und bieten gleichzeitig Stauraum. So sind unter das Podest, das die Küche abtrennt, Holzscheite geschichtet. Weitere Podeste sind gerade so hoch, dass sich Bücher darunter einräumen lassen. Erkennt man auch gut in der Bebilderung zur Projektbeschreibung auf der Homepage der Architekten.

Neues Leben im alten Bauernhaus

Altes Bauernhaus neu renoviert Außenansicht

Das kleine Bauernhaus mit dem Holzbalkon ist direkt an den ehemaligen Stall angebaut. Zwei Räume über dem Stallgebäude wurden integriert. Foto: Karin Polz

Wenn alles nach Plan gegangen wäre, würde Martina Baumgartner (27) jetzt in einem Neubau wohnen. Stattdessen richtet sie gerade ein rund zweihundert Jahre altes Haus ein. Eines, das unter Denkmalschutz steht und deshalb nicht abgerissen werden durfte.

Davon allerdings wussten Martina Baumgartner und ihre Eltern Heinrich und Theresia nichts, als sie die Bauvoranfrage stellten. Zurück kam ein Schreiben des Denkmalamtes. Erst waren die Baumgartners nicht gerade begeistert. „Als ich mir dann aber zwei, drei umgebaute alte Häuser angeschaut hatte, war ich fasziniert“, sagt Martina. „Mittlerweile bin ich auch stolz darauf, was wir aus dem alten Häuschen gemacht haben“, sagt ihr Vater Heinrich.

Flur nach der Renovierung

Der alte Terrazzoboden durfte bleiben, auch die alten Steine zeugen von der ursprünglichen Bauweise des Hauses. Die Treppe hingegen ist neu. Foto: Martina Baumgartner

Das alte Haus ist schließlich sein Elternhaus. Er selbst hat für seine Familie auf dem Hof  im Landkreis Passau in den 1970er Jahren einen Neubau errichtet. Im alten Haus wohnte bis 2008 noch eine ehemalige Magd. Dann kamen die Abriss- und Neubaupläne, die Nachricht vom Denkmalamt und schließlich die denkmalschützerische Erlaubnis, das Haus nach bestimmten Maßgaben umzubauen, damit Martina dort wohnen kann. 2011 ging es los − mit dem Ausräumen.

Nach viel Eigenleistung und dank problemloser Zusammenarbeit mit dem Denkmalamt kann Martina nun in ein Haus einziehen, das in der Substanz und in den Details seine Vergangenheit deutlich zeigt, gleichzeitig aber modernen Komfort bietet. Die Wand- und Fußbodenheizung und die Gastherme, die Dreifachverglasung der Fenster und die modernen Elektroleitungen sieht man natürlich nicht. Dagegen sticht dem Besucher schon beim ersten Schritt ins renovierte Bauernhaus der besondere, originalerhaltete Fußboden ins Auge: ein vor Ort gegossener Terrazzoboden. „Wegen ihm haben wir im Flur des Erdgeschosses auf eine Isolierung des Bodens nach unten verzichtet, es wäre schade um ihn gewesen“, sagt Martina.

Das Wohnzimmer nach der Renovierung

25 Kastenfenster mussten extra für das Haus angefertigt werden. Sie passen perfekt zum Charakter des Hauses und wirken dabei überhaupt nicht veraltet. Foto: Martina Baumgartner

Rechts und links des Flurs lässt sich deutlich erkennen, wie das Haus aufgebaut ist: Martina und ihre Familie − neben den Eltern half auch die Schwester mit Mann − haben die großen Granitsteine freigelegt und neu verfugt. „Tagelang haben wir dagesessen, die Steine von mehrfachen Zementschichten befreit und die Fugen ausgekratzt“, erinnert sich Martina. Wo über dem Granit die Ziegelsteine beginnen, ist die Wand weiß verputzt. Der ehemalige Zugang zum Stall wurde zugemauert. Am Treppenaufgang ist zu sehen, dass der obere Teil des Hauses aus Holz gebaut ist − eine Altholzwand erstrahlt dank der Behandlung mit der Wurzelbürste in neuem Glanz.

Vorher: das Bad

Alt und altmodisch: So sah das heutige Badezimmer vorher aus. Foto: Martina Baumgartner

„Mich beeindruckt das, wie die Leute damals gebaut haben“, sagt Martina. „Mir war wichtig, dass Bauteile frei bleiben, egal, ob Holz oder Stein, damit der individuelle Charakter und der spezielle Charme des Hauses zur Geltung kommen.“ Dass sie oft Kompromisse schließen musste, stört Martina nicht: „Es war eine Herausforderung, sich nach den Gegebenheiten des Hauses zu richten und da was draus zu machen.“ Viel Zeit hat sie damit verbracht, im alten Haus zu sitzen und sich zu überlegen, wie es später aussehen soll. „Ich wollte mich an das halten, was schon da war. Also zum Beispiel nur Naturprodukte verwenden. Und ich wollte das Haus offen, hell und freundlich haben, etwas Modernes mit dem Traditionellen verbinden.“

Das Bad nach der Renovierung

Und so sieht das Bad heute aus: modern, aber dank Natursteinoptik stimmig. Foto: Martina Baumgartner

Komplizierter als ein Neubau war dies allemal. So mussten die neuen Fenster vom Schreiner maßgefertigt werden. 25 Kastenfenster hat das kleine Häuschen − und fast jedes Fenster hat eine andere Größe. „Wir sind froh, dass wir den Schreiner hatten, dass es überhaupt noch Handwerker gibt, die diese Sachen machen“, sagt Martina. Denn auch für die Innentüren war ein Spezialist nötig. Die alten Holztüren benötigten zum Teil neue Glaseinsätze. Ein Glaser hat diese mit altem und neuem Glas, traditioneller Technik und Kitt eingebaut. Mit den alten Kastenschlössern, die die Baumgartners zusammengesammelt haben, schauen die Holztüren wieder aus wie anno dazumal − und passen perfekt ins übrige Ambiente.

Der Keller nach der Renovierung

Selbst der kleine Keller sieht nach der Renovierung hübsch aus: Weil nun auch der Treppenabgang zum Keller offen ist und beleuchtet wird, wirkt er nicht mehr düster und unheimlich. Foto: Martina Baumgartner

Ins Obergeschoss führt eine neue Treppe, das Geländer ist nach altem Muster gefertigt. Der Holzboden oben ist original − bis auf die Holznägel. „Ungefähr 150 Holznägel haben wir selbst geschnitzt, um dort, wo die Holzbretter alte Eisennägel hatten, die Löcher zu füllen“, erzählt Martina.

Während es unten ein Wohnzimmer und eine Küche gibt, wird das Obergeschoss Bad, Gästezimmer und ein kleines Büro beherbergen. Auch Martinas Schlafzimmer ist im Obergeschoss geplant, genau dort, wo früher die Oma geschlafen hat. Sogar die alten Möbel wird Martina hier verwenden. Andere Relikte haben dagegen neue Funktionen bekommen: Aus Altholz haben die Baumgartners Wäschekörbe gefertigt, ein alter Sicherungskasten hängt neu gestrichen dekorativ an der Wand.

„Ein Neubau wäre mit Sicherheit einfacher gewesen“, sagt Martina. Aber woanders neu zu bauen und das denkmalgeschützte Haus sich selbst zu überlassen? „Ich will doch keine Ruine vor der Haustür“, sagt Heinrich Baumgartner. Wäre auch schwer vorstellbar bei dem schmucken „Schusterbauer“-Hof, der schon 1674 urkundlich erwähnt wurde. Jetzt hat er ein neues Prachtstück − mit Vergangenheit, aber gerüstet für die Zukunft.

Dieser Text ist erstmals in der Beilage „Planen, Bauen, Wohnen“ der Passauer Neuen Presse vom 20. September 2014 erschienen.