Lesen und staunen: Kleine Häuser unter 100 Quadratmeter

Das Buch „Kleine Häuser unter 100 Quadratmeter“ ist im DVA-Verlag erschienen.

Kleine Häuser faszinieren mich. Vielleicht deshalb, weil ein kleines Haus immer perfekt auf seine Bewohner abgestimmt sein muss – dafür plädiere ich ja sowieso. Und unkonventionelle Lösungen für diverse Wohnfragen begeistern mich auch. Solche sind einfach typisch für kleine Häuser. Kreativität ist gefragt, wenn wenige Quadratmeter für zwei oder mehr Personen reichen sollen.

Das Buch „Kleine Häuser unter 100 Quadratmeter“ von Thomas Drexel (DVA, ISBN 978-3-421-03965-1) hat mich daher von der ersten bis zur letzten Seite begeistern können. Der Band stellt 25 vorbildhafte, in Baustil, Konstruktionsweise und Innenraumgestaltung ganz unterschiedliche Häuser vor. Es gibt jeweils eine kleine Geschichte zum Haus, einen praktischen Tipp für zukünftige Bauherren und natürlich viele Fotos, die Baudaten und Grundrisszeichnungen.

Bei Studieren der Bauprojekte stellt man schnell fest, dass es einige Tricks gibt, die in kleinen Häusern auf einfache Art ganz großartigen Wohnraum schaffen. Fast in allen kleinen Häusern in dem Buch von Thomas Drexel werden drei ganz bestimmte Regeln beachtet.

Erstens: Platz spart man am einfachsten dort, wo man ihn nicht braucht.

Ein großer Eingangsbereich mag repräsentativ sein, unbedingt notwendig ist er aber nicht. Wer an der Grundfläche sparen muss, lässt den Eingangsbereich einfach weg. Sieht man im Buch wunderbar am Beispiel des sechs mal sechs mal sechs Meter großen Wohnwürfels von Architekt Theis Janssen. Das Haus, das in Bremen gebaut wurde, ist auf der Westseite im Erdgeschoss und im ersten Geschoss fast vollständig verglast. Und die Haustür ist einfach dort, wo man eine Terrassentür erwarten würde, und führt direkt in den Wohnbereich. Sieht man sehr schön auf der Homepage des Architekten.

Platzsparend lassen sich meist auch Schlafzimmer planen: Ein Bett muss reinpassen, sonst eigentlich nichts. In einem Wochenendhaus im Schwarzwald bei Freiburg, geplant von Architekturbüro Matthias Lange, Freiburg, befindet sich das Bett direkt unter dem Spitzdach. Der Platz zu Stehen wird hier schon knapp, für andere Zwecke hätte man den Raum also vermutlich gar nicht nutzen können.

Zweitens: Drinnen und Draußen vereinen mit großen Fenstern

Helle Räume wirken größer als Dunkle. Und großzügige Blicke nach draußen verhindern ein Gefühl von Beengtheit. Daher arbeiten fast alle Architekten in dem DVA-Band mit großen Fenstern, meist bodentief. Tiefe holzbelegte Sitzbänke in den Fensterausschnitten gehören zu den typischen Elementen in den kleinen Häusern von Simon Storey/Anonymous Architects, die er auf kleinen Grundstücken in Los Angeles gebaut hat. Sie sind einerseits perfekte Ruhe- und Aussichtspunkte in dem kleinen Haus. Andererseits erfüllen sie aber auch durchaus praktische Aufgaben: So ersetzt zum Beispiel eine Fensterbank als Sitzbank direkt am Esstisch weitere Stühle. Doppelt praktisch: Zum einen steht kein zusätzliches Mobiliar herum und nimmt Platz weg. Zum anderen kann der Esstisch so nahe an Fenster und Wand gerückt werden, wie es mit einer Bestuhlung wohl nicht möglich wäre.

Drittens: Stauraum clever einplanen und dadurch die Raumgliederung unterstützen

Offene Grundrisse sind ein Muss im winzigen Haus. Aber ein wenig Gliederung kann die Wohnfläche dennoch vertragen. Mein Lieblingsbeispiel im Buch „Kleine Häuser unter 100 Quadratmeter“ ist ein 85 Quadratmeter großes Wohnhaus in Lodin in Tschechien, das ASGK Design in Prag geplant hat. Der große, zusammenhängende Wohnraum mit Essplatz und Küche ist hier in verschiedene Ebenen unterteilt. Niedrige Podeste gliedern den Erdgeschossraum und bieten gleichzeitig Stauraum. So sind unter das Podest, das die Küche abtrennt, Holzscheite geschichtet. Weitere Podeste sind gerade so hoch, dass sich Bücher darunter einräumen lassen. Erkennt man auch gut in der Bebilderung zur Projektbeschreibung auf der Homepage der Architekten.

Kleine Häuschen ganz groß

Stripe House im niederländischen Leiden Außenansicht

Der Gewinner des Häuser-Awards 2014 steht auf einem nur 95 Quadratmeter großen Grundstück. Foto: Häuser/Luc Roymans

Mehr Quadratmeter bedeutet nicht gleich mehr Platz, mehr Freiraum oder schöneres Wohnen. Viele architektonisch interessante Häuser sind sogar eher klein. Das hat Vorteile: Kleine Häuser passen auf schwierige Restparzellen oder in Baulücken. Sie sind oft günstiger in Herstellung, Unterhalt und Energieverbrauch.

Wer klein baut, muss sich genau überlegen, wie er wohnen möchte und auf was er verzichten kann. „Wenn der Raum knapp ist, kommt es ganz besonders auf kluge Planung und kreative Konzepte an“, meint Bettina Hintze, Autorin des Buches „Kleine Häuser, große Wohnarchitektur“ (ISBN 978-3-421-03933-0).

In dem Bildband von DVA werden 20 Projekte vorgestellt, die beim Wettbewerb „Häuser-Award 2014“ besonders gut abgeschnitten haben. Das Buch gibt mit Hunderten Fotos, Plänen und Grundrissen sowie allen relevanten Baudaten einen ausführlichen Überblick über die Projekte und ist eine ideale Inspirationsquelle für Bauherren und Architekten. Mehr als hundert Projekte wurden für den Wettbewerb eingereicht, der vom Magazin „Häuser“ zusammen mit dem Bund Deutscher Architekten (BDA), dem Informationszentrum Beton, dem Verband Privater Bauherren e.V. (VPB) und der Deutschen Verlags-Anstalt (DVA) durchgeführt wurde.

Stripe House im niederländischen Leiden

Die Architekten Esther Stevelink und Arie Bergsma haben das „Stripe House“ entworfen. Foto: Häuser/Luc Roymans

Den ersten Preis hat das „Stripe House“ im niederländischen Leiden gewonnen. Es ist zwar nicht mein Favorit, fasziniert mich aber wegen seines luftigen Inneren. Auf einem nur 95 Quadratmeter großen Grundstück haben die Hausherren, zwei Architekten des Büros Gaaga Studio for Architecture ganze 160 Quadratmeter Nutzfläche herausgeholt. Und dabei haben sie sogar noch großzügige Freiräume gewonnen. Ein sichtgeschützter Innenhof nimmt zum Beispiel einen kleinen Teil der 95 Quadratmeter ein. Und im Innenraum des schlichten würfelförmigen Baus wurde die Decke vom ersten ins zweite Obergeschoss nicht durchgezogen – so entstand ein Luftraum, fünfeinhalb Meter kann man von der Küche frei nach oben blicken. Wie haben die Architekten es geschafft, diese Freiräume auf kleinstem Raum unterzubringen? Indem sie die Verkehrsflächen minimiert haben – keine breiten Flure, keine repräsentativen Treppen, keine Abstellräume, dafür klug geplante Einbaumöbel.

Das Haus in London ist ein Entwurf des Büros Alma-nac

Das Grundstück ist nur 2,30 Meter breit – genug Platz für ein hübsches Häuschen. Foto: Häuser/Richard Chivers

Auch den dritten Platz finde ich persönlich spannend: Das Haus in London ist nur 2,30 Meter breit – so breit wie ein Autostellplatz. Dafür ist das Grundstück 32 Meter tief. Der Altbau, den sich die Architekten vom Büro Alma-nac vornahmen, war ein langer, düsterer Schlauch. Jetzt wohnt eine vierköpfige Familie in dem renovierten Stadthaus – Oberlichter und durchgehende Sichtachsen sorgen für ein großzügigeres Raumgefühl, auch wenn der Umbau nichts daran ändern konnte, das rechts und links der 2,30 Meter die Nachbarshäuser andocken.

Am meisten begeistert mich ein Projekt in der Nähe von Hamburg: Architekt Christian Stolz hat auf einem schmalen, langgestreckten Grundstück zwei einfach Satteldachhäuschen hintereinander angeordnet. Das vordere Holzhaus enthält Schlaf- und Kinderzimmer und schirmt die weiteren Bereiche von der Straße ab. Ein Gang, in den auch die Haustür integriert ist, verbindet das „Schlafhaus“ mit dem Wohn-, Koch- und Essbereich im kleineren der beiden Häuschen. Somit ist zum einen der Wohnbereich uneinsehbar, zum anderen bildet der Raum zwischen den beiden Häuschen und dem Verbindungsgang eine auf drei Seiten abgeschirmte Terrasse. Von diesem Haus gibt es leider kein Pressefoto, aber es ist auf den Internetseiten von „Schöner wohnen“ zu sehen. Wer sich auch die anderen Projekte ansehen möchte, findet sie ebenfalls bei „Schöner wohnen“.