Wenn alles nach Plan gegangen wäre, würde Martina Baumgartner (27) jetzt in einem Neubau wohnen. Stattdessen richtet sie gerade ein rund zweihundert Jahre altes Haus ein. Eines, das unter Denkmalschutz steht und deshalb nicht abgerissen werden durfte.
Davon allerdings wussten Martina Baumgartner und ihre Eltern Heinrich und Theresia nichts, als sie die Bauvoranfrage stellten. Zurück kam ein Schreiben des Denkmalamtes. Erst waren die Baumgartners nicht gerade begeistert. „Als ich mir dann aber zwei, drei umgebaute alte Häuser angeschaut hatte, war ich fasziniert“, sagt Martina. „Mittlerweile bin ich auch stolz darauf, was wir aus dem alten Häuschen gemacht haben“, sagt ihr Vater Heinrich.
Das alte Haus ist schließlich sein Elternhaus. Er selbst hat für seine Familie auf dem Hof im Landkreis Passau in den 1970er Jahren einen Neubau errichtet. Im alten Haus wohnte bis 2008 noch eine ehemalige Magd. Dann kamen die Abriss- und Neubaupläne, die Nachricht vom Denkmalamt und schließlich die denkmalschützerische Erlaubnis, das Haus nach bestimmten Maßgaben umzubauen, damit Martina dort wohnen kann. 2011 ging es los − mit dem Ausräumen.
Nach viel Eigenleistung und dank problemloser Zusammenarbeit mit dem Denkmalamt kann Martina nun in ein Haus einziehen, das in der Substanz und in den Details seine Vergangenheit deutlich zeigt, gleichzeitig aber modernen Komfort bietet. Die Wand- und Fußbodenheizung und die Gastherme, die Dreifachverglasung der Fenster und die modernen Elektroleitungen sieht man natürlich nicht. Dagegen sticht dem Besucher schon beim ersten Schritt ins renovierte Bauernhaus der besondere, originalerhaltete Fußboden ins Auge: ein vor Ort gegossener Terrazzoboden. „Wegen ihm haben wir im Flur des Erdgeschosses auf eine Isolierung des Bodens nach unten verzichtet, es wäre schade um ihn gewesen“, sagt Martina.
Rechts und links des Flurs lässt sich deutlich erkennen, wie das Haus aufgebaut ist: Martina und ihre Familie − neben den Eltern half auch die Schwester mit Mann − haben die großen Granitsteine freigelegt und neu verfugt. „Tagelang haben wir dagesessen, die Steine von mehrfachen Zementschichten befreit und die Fugen ausgekratzt“, erinnert sich Martina. Wo über dem Granit die Ziegelsteine beginnen, ist die Wand weiß verputzt. Der ehemalige Zugang zum Stall wurde zugemauert. Am Treppenaufgang ist zu sehen, dass der obere Teil des Hauses aus Holz gebaut ist − eine Altholzwand erstrahlt dank der Behandlung mit der Wurzelbürste in neuem Glanz.
„Mich beeindruckt das, wie die Leute damals gebaut haben“, sagt Martina. „Mir war wichtig, dass Bauteile frei bleiben, egal, ob Holz oder Stein, damit der individuelle Charakter und der spezielle Charme des Hauses zur Geltung kommen.“ Dass sie oft Kompromisse schließen musste, stört Martina nicht: „Es war eine Herausforderung, sich nach den Gegebenheiten des Hauses zu richten und da was draus zu machen.“ Viel Zeit hat sie damit verbracht, im alten Haus zu sitzen und sich zu überlegen, wie es später aussehen soll. „Ich wollte mich an das halten, was schon da war. Also zum Beispiel nur Naturprodukte verwenden. Und ich wollte das Haus offen, hell und freundlich haben, etwas Modernes mit dem Traditionellen verbinden.“
Komplizierter als ein Neubau war dies allemal. So mussten die neuen Fenster vom Schreiner maßgefertigt werden. 25 Kastenfenster hat das kleine Häuschen − und fast jedes Fenster hat eine andere Größe. „Wir sind froh, dass wir den Schreiner hatten, dass es überhaupt noch Handwerker gibt, die diese Sachen machen“, sagt Martina. Denn auch für die Innentüren war ein Spezialist nötig. Die alten Holztüren benötigten zum Teil neue Glaseinsätze. Ein Glaser hat diese mit altem und neuem Glas, traditioneller Technik und Kitt eingebaut. Mit den alten Kastenschlössern, die die Baumgartners zusammengesammelt haben, schauen die Holztüren wieder aus wie anno dazumal − und passen perfekt ins übrige Ambiente.
Ins Obergeschoss führt eine neue Treppe, das Geländer ist nach altem Muster gefertigt. Der Holzboden oben ist original − bis auf die Holznägel. „Ungefähr 150 Holznägel haben wir selbst geschnitzt, um dort, wo die Holzbretter alte Eisennägel hatten, die Löcher zu füllen“, erzählt Martina.
Während es unten ein Wohnzimmer und eine Küche gibt, wird das Obergeschoss Bad, Gästezimmer und ein kleines Büro beherbergen. Auch Martinas Schlafzimmer ist im Obergeschoss geplant, genau dort, wo früher die Oma geschlafen hat. Sogar die alten Möbel wird Martina hier verwenden. Andere Relikte haben dagegen neue Funktionen bekommen: Aus Altholz haben die Baumgartners Wäschekörbe gefertigt, ein alter Sicherungskasten hängt neu gestrichen dekorativ an der Wand.
„Ein Neubau wäre mit Sicherheit einfacher gewesen“, sagt Martina. Aber woanders neu zu bauen und das denkmalgeschützte Haus sich selbst zu überlassen? „Ich will doch keine Ruine vor der Haustür“, sagt Heinrich Baumgartner. Wäre auch schwer vorstellbar bei dem schmucken „Schusterbauer“-Hof, der schon 1674 urkundlich erwähnt wurde. Jetzt hat er ein neues Prachtstück − mit Vergangenheit, aber gerüstet für die Zukunft.
Dieser Text ist erstmals in der Beilage „Planen, Bauen, Wohnen“ der Passauer Neuen Presse vom 20. September 2014 erschienen.